Orientierung

Wo will ich hin im Leben?

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Orientierung

Was für eine Frage, die Antwort ist doch klar: Karriere machen, viel Geld verdienen, eine gute Vernetzung aufbauen, einen attraktiven Partner haben, mit dem man sich sehen lassen kann, Neid bei anderen erzeugen und grenzenlose Anerkennung ernten. Habe ich noch etwas Wichtiges zu einer guten Orientierung vergessen?

Ja, gut, da ist natürlich noch die Liebe, jene ehrliche Liebe des Partners, die nicht nur vorgegaukelt wird, weil ich viel Geld verdiene. Und gewiss auch die bedingungslose Liebe meiner Eltern und die aufschauende Liebe meiner Kinder, die ich mir nicht kaufen kann, sondern jeden Tag neu durch mein Verhalten verdienen muss. Das sind wichtige Momente, die uns Orientierung geben.

Was soll man denn noch alles machen?

Natürlich hat so ein Tag meines Wissens nur 24 Stunden, ungefähr acht davon sollte man schlafen und privat für Frühstück, Abendessen und Abendspaß geht ja auch etliche Zeit drauf. Wem seine Karriere wichtig ist, um seiner Familie etwas bieten zu können, kann nach acht Stunden Arbeit nicht einfach den Pinsel fallen lassen und Feierabend brüllen. 

Gerade derjenige, der eine Führungsposition anstrebt, muss doch wenigstens so tun, als würde er sich auch sehr gern privat mit seinen Vorgesetzten treffen. Außerdem sind da noch die Leute, die mich beruflich durch ihr Spezialwissen und ihr ungeheuer wichtiges Netzwerk weiterbringen können. Da muss ich unbedingt jede Gelegenheit nutzen, diese Kollegen persönlich zu treffen, zum Beispiel auf Fachtagungen, Fortbildungen oder von mir aus beim lustigen Betriebsfußball.

Ist doch klar, dass ich da nicht bei jedem Kindergeburtstag oder bei der Einschulung mit dieser Schultüte oder bei der Aufführung in der Aula dabei sein kann, meine Frau versteht das schon und erklärt das meinen Kindern.

Manchmal fühle ich mich so leer und es fehlt mir an Orientierung

Wer so denkt und argumentiert, steckt bereits voll in dem sogenannten Hamsterrad. So weit dürfen wir es auf keinen Fall kommen lassen und dies gelingt uns dann ganz gut, wenn wir immer wieder innehalten und uns mal selbst die Frage nach dem Sinn des Lebens stellen. Wer dies tut, kommt gar nicht umhin, auch über das Wesen der Zeit nachzudenken, denn unser Leben ist eine Aneinanderreihung von Momenten, die am Ende unsere Erinnerung sein werden.

Und wir selbst sind der aktive Player auf diesem Feld der eigenen Lebenszeit. Eine ganz wesentliche und bestimmende Komponente, die uns hier Orientierung auf die wahren Spielregeln gibt, das sind unsere Kinder. Es geht doch alles so schnell: die ersten Schritte, Worte, Zähnchen, das Weinen bei der Abgabe im Kindergarten, die Einschulung, die Überlegung, ob das Kind das Gymnasium besuchen sollte, dann noch die Abifeier. Spätestens danach sehen wir unsere Kinder kaum noch, sie haben ihre eigenen Interessen entwickelt, müssen an ihrer Karriere basteln und werden ihre eigene Familie gründen. Da bleibt kaum Zeit, sich noch um uns zu kümmern, die wir so uninteressant geworden sind.

Wer diese wenigen, wunderbaren und gewiss feierlichen Momente verpasst, weil er an diesen Tagen vielleicht lieber Geld verdienen oder seine Karriere voranbringen möchte, sollte dringend seine Prioritäten überdenken, denn seine Orientierung ist bereits ernsthaft krank geworden.

Wo also ist die Orientierung zu suchen, die ich brauche, um glücklich zu sein?

Dazu brauchen wir gar nicht weit blicken, denn genau dafür gibt es ja unsere Familie, deren Wertigkeit in der modernen Zeit sträflich unterschätzt wird. Gemeint ist hier nicht nur die unmittelbare Familie wie Partner, Eltern oder Kinder, sondern auch die etwas ferneren Verwandten wie Onkel und Tanten, aber ebenfalls diejenigen, die wir als unsere Freunde bezeichnen. Wenn diese Menschen uns kritisieren, geht es nicht um wirtschaftliche Belange wie die Steigerung der Produktivität, sondern meistens um ehrlich gemeinte eigene Anliegen darüber, wie das Zusammenleben oder die Freundschaft gefestigt werden könnte.

Du hast ja nie Zeit für mich

Kommen wir an dieser Stelle zu dem Klassiker. Die Frau beklagt sich bei ihrem Mann mit den Worten: „Du hast ja nie Zeit für mich. Immer, wenn ich etwas mit dir gemeinsam unternehmen möchte, schiebst du einen wichtigen Geschäftstermin vor.“ Wer diese eindeutige, laute Alarmglocke überhört, ist selber schuld. Spätestens jetzt muss eine Kaskade von Gedanken durch den Kopf peitschen, die die eigene Einstellung sehr kritisch hinterfragen, auch wenn die Dame mit dem Wörtchen „immer“ vielleicht ein bisschen übertrieben hat. Im Übrigen gilt dies ganz genauso für die so oft zitierte Karrierefrau, eben mit umgekehrtem Vorzeichen.

Festzuhalten ist, dass es vor allem unsere Partnerin beziehungsweise unser Partner ist, oft aber auch unsere Kinder, die uns „erden“, uns die Orientierung geben, die wir brauchen, und dafür sollten wir unbedingt dankbar sein. Lassen Sie uns also mal eine Lanze brechen für die lieben Frauen und uns vornehmen, mehr auf sie zu hören.

Die Gesellschaft ist gar nicht so schlecht

Wir haben uns tatsächlich weiterentwickelt. Sogar der Gesetzgeber hat kapiert, dass er eine ganze Menge für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie tun muss, dass der Staat den Kapitalismus nicht völlig freilaufen lassen darf. Vielleicht waren es die geburtenschwachen Jahrgänge, die hier zu einem Umdenken geführt haben. Wie auch immer, heute sind Instrumente wie das Home Office und die Elternzeit in den meisten Behörden sowie in vielen Konzernen fast schon eine Selbstverständlichkeit geworden, die wir einfordern können.

Diese Rechte sollten wir auch in Anspruch nehmen, so weit es eben möglich ist. Dennoch haben viele die Befürchtung, dass ihnen berufliche Nachteile daraus entstehen könnten, dass der kinderlose Kollege, der das alles nicht braucht, die Position als Führungskraft bekommen wird. Eine gute Orientierung bedeutet, solche Gedanken wegzuwischen. Wer den Eindruck hat, dass die Wahrnehmung verbriefter Rechte, gerade in Bezug auf die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, dazu führt, dass die Personalabteilung andere bevorzugt, ist gut beraten, einen Gesprächstermin mit der Gleichstellungsbeauftragten des Betriebes zu vereinbaren. 

Leider ist es heute noch so, dass es gerade bei Männern noch nicht so ganz angekommen ist, dass die Gleichstellungsbeauftragte ein enormes Gewicht im Betrieb innehat und sehr gern bereit ist, dafür zu kämpfen, dass die Rechte der Väter, die ihre Frauen bei der Kindererziehung unterstützen möchten, vollumfänglich ausgeschöpft werden. Und dazu gehört die klare Orientierung darauf, dass Mitarbeiter, die aus dringenden familiären Gründen nicht jeden Tag acht Stunden plus Überstunden im Betrieb anwesend sein können, keinerlei berufliche Nachteile erleiden müssen.

Das ist eine sehr gute Entwicklung, die unseren Kindern und damit der Gesellschaft insgesamt zugutekommt. Unterstützen wir also nach Kräften die Gleichstellung von Mann und Frau, auch das gehört zu einer gerechten Orientierung im Leben.