Geduld: Wann stärkt sie, wann bremst sie aus?

Wie Du es schaffen kannst, bewusst über deine Geduld zu entscheiden!

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Wir alle kennen Sätze wie „in der Ruhe liegt die Kraft“ oder „Übe Dich in Geduld“ oder? Hinter diesen Redewendungen steckt viel Wahres, denn Geduld und innere Ruhe sind der Schlüssel zu einem Leben mit mehr Entspannung und Dankbarkeit. Zumindest kann Geduld als Tugend und Stärke angesehen werden. Doch gibt es vielleicht noch eine andere Seite der Medaille? Kann es sein, dass wir uns durch zu viel Geduld manchmal auch selbst blockieren und Prozesse verlangsamen? Sei es beruflich oder auch privat? 

In diesem Artikel nehmen wir uns dem Thema Geduld von einer neutralen Perspektive aus an und beantworten wichtige Fragen, beispielsweise „Warum ist Geduld so wichtig?“, „Ist Geduld eine Stärke?“ oder „Wie kann ich Geduld üben?“. Ebenso gehen wir jedoch der Frage auf den Grund, wann vielleicht auch mal Schluss mit der Geduld sein sollte.

Was genau ist Geduld? 

Wir alle wissen im Grunde, was Geduld bedeutet: Dennoch ist vielleicht die Frage interessant, was einen geduldigen Menschen per Definition ausmacht. 

Das Wort Geduld bedeutet das „ruhige und beherrschte Ertragen von etwas, was unangenehm ist oder sehr lange dauert“. Dabei ist „unangenehm“ ein nicht ganz passender Begriff, denn nicht immer zeigen wir Geduld aus einem Mangel heraus. So kann es doch beispielsweise auch sein, dass wir mit unserer jetzigen Situation und unserem Weg sehr zufrieden sind und trotzdem Ziele verfolgen, die wir noch erreichen wollen. Dann würde die Geduld nicht auf einem negativen Grundsatz basieren, sondern auf Freude am Wachstum. 

Warum ist Geduld so wichtig? 

Geduldig zu sein erleichtert uns das Leben, weil sie unsere Resilienz fördert. Was genau bedeutet das? 

Nehmen wir als Beispiel eine Situation aus unserem Arbeitsleben: Wir durchlaufen eine sehr stressige Phase. Viele Projekte stehen gleichzeitig an und eventuell gibt es noch Personalmangel. Ein geduldiger Mensch weiß, dass diese Phase nur temporär ist. Er oder sie kann sich kognitiv darauf einstellen, dass nach jedem Tief ein Hoch kommt und dass es dieses momentane Tief auszuhalten gilt. Die Person denkt nicht an sofortige Kündigung, denn sie verliert auch die Vorteile des Jobs und die grundsätzlich gute Atmosphäre nicht aus den Augen.

Ein ungeduldiger Mensch hingegen läuft stärker Gefahr, sich von dem Momentum mitreißen zu lassen. Er oder sie will die Situation nicht weiter ertragen und sucht eventuell schon nach dem nächsten Job. Das Stresslevel ist erhöht, weil ein ungeduldiger Mensch einfach mehr in die Situation hineingeht.

Geduld und innere Ruhe dienen uns also als Stresspuffer. Durch die Brille der Geduld sehen wir Umstände objektiver. Wir erhalten uns die Kapazitäten um nach alternativen Lösungsmöglichkeiten oder auch einem emotionalen Ausgleich zu suchen. Gleichzeitig geben wir weniger schnell auf und können wahre Disziplin entwickeln. So benötigt es zum Beispiel oft jahrelanges Training, bis wir unseren Traumkörper geformt haben. Ebenso kann es beim Thema Finanzen oder Beziehungen länger dauern, bis wir die Früchte unserer Arbeit ernten.

Ruhe, Geduld und Genügsamkeit werden in unserer Leistungsgesellschaft oft mit Schwäche assoziiert, jedoch ist das Gegenteil der Fall: Wer resilienter gegenüber äußeren Gegebenheiten ist, tut sich zum ersten selbst einen Gefallen und kann zweitens auch im Job mehr Performanz bringen. 

Wie kann ich Geduld üben?

1. Hinterfrage Dein Mindset

Wie bei so vielem im Leben beginnt Geduld mit einer Entscheidung. Wer geduldig sein will, darf sich in erster Linie erstmal für einen geduldigen Menschen halten. Es ist oft notwendig, alte Glaubenssätze gehen zu lassen. Teste Dich hierfür gern einmal selbst, wie du innerlich auf die folgenden Sätze reagierst:

„Ich schaffe Dinge schneller, wenn ich immer Gas gebe.“

„Menschen, die Pausen machen, haben nicht die nötige Disziplin.“

„Ich kann schneller und effizienter arbeiten als alle Anderen um mich herum.“

All diese Aussagen beeinhalten die Eigenschaft der Qualität Geduld bzw. Ungeduld nur indirekt, aber sie implizieren, dass wir nur dann maximal erfolgreich sind, wenn wir stets auf Höchstleistung laufen. Grundsätzlich ist natürlich auch beides möglich: Ein geduldiger Mensch zu sein und trotzdem diese Aussagen zu bejahen. In der Praxis ist dies jedoch sehr selten, da in den Statements der Tonus mitschwingt, dass Dinge immer möglichst schnell erledigt werden müssen.

Wenn Du Dich in Geduld üben möchtest, frage Dich also im ersten Schritt, was Du über Dich selbst denkst: Gestehst Du es Dir zu, geduldig zu sein?

2. Situationsbezogene Ziele setzen 

Aller Anfang ist schwer. Versuchen wir unsere Geduld erst einmal in einzelnen Situationen zu erproben. Ganz banal beispielsweise, wenn wir an der Kasse stehen und warten müssen. Versuchen wir, gelassen zu bleiben. Im nächsten Schritt können wir uns dann das Ziel setzen, geduldiger mit unserem Partner/Partnerin zu sein, oder aber wir versuchen, auf der Arbeit Gelassenheit zu zeigen. 

Als Faustregel können wir uns merken: Jede Tugend braucht Zeit und ironischerweise auch wieder Geduld. Gehen wir dieses Ziel schrittweise an. 

3. Übe neue Routinen ein

Die gute Nachricht ist, dass wir alles trainieren können, so auch Geduld. Hierfür gilt es nun, immer weiter zu üben. Mit Sicherheit wird es Rückfälle geben auf unserem Weg. Das ist nur menschlich. Die Hauptsache ist, dass wir es jeden Tag oder vielleicht sogar mehrmals am Tag neu versuchen, mit Geduld zu reagieren. 

4. Dankbarkeit und Stolz empfinden

Positive Gefühle bekräftigen uns. Selbst wenn wir einmal in alte Muster zurückfallen, wir können Stolz auf uns sein. Jede gemeisterte Situation zählt und bringt uns eher an das Endziel (wenn es überhaupt so etwas wie ein Endziel gibt.)

5. Geduld gegenüber sich selbst zeigen

Alles beginnt im Innen. Am besten Lernen wir Geduld, indem sie uns gegenüber uns selbst zeigen. Fragen wir uns selbst: Warum bin ich sauer auf mich? In welchen Situationen verurteile ich mich selbst, weil ich etwas nicht geschafft habe, wie ich es wollte? Aus Erfahrung weiß ich, wie schwer es sein kann, geduldig mit sich selbst zu sein. Gleichzeitig sollten wir selbst immer die Person sein, der wir am meisten Geduld und Verständnis gegenüber bringen.

Die andere Seite der Medaille: Kann man zu viel Geduld zeigen?

Jede Stärke kann (im Übermaß betrieben) auch zu einer Schwäche werden. So sieht es auch beim Thema Geduld aus. Doch wann passiert das und wie merken wir es? Oft ist die Grenze zwischen Geduld zeigen und passiver Akzeptanz einer Situation fließend. Oft sind wir in Routinen oder Beziehungen gefangen, die wir über Jahre einfach akzeptieren. Dies hat nichts mehr mit Geduld zutun und ist nicht positiv. 

Gehen wir einmal zurück zum Beispiel oben, die stressige Situation am Arbeitsplatz. Stellen wir uns vor, wir würden nicht wochenlang, sondern ein ganzes Jahr mit den selben Umständen konfrontiert werden. Sobald wir merken, dass sich eine Situation eben nicht ändert, dürfen wir die Reißleine ziehen. Oft merken wir unbewusst sehr genau, wenn uns etwas nicht oberflächlich, sondern wirklich tiefgreifend stört. Immer dann ist es an der Zeit, etwas zu ändern.

„Zu viel Geduld“ kann uns in dem Sinne bremsen, als dass wir passiv werden und viel zu lange auf etwas verharren. Uns fehlt der nötige Push, den die Ungeduld manchmal liefern kann. 

Der Autor Philipp Ruch greift in seinem Buch „Schluss mit Geduld – Jeder kann etwas bewirken“ genau das bezogen auf gesellschaftspolitische Themen auf. Seine Kernbotschaft lautet, dass wir alle unsere Stimme nutzen sollen, um gegen Rassismus oder den Klimawandel aktiv zu werden. Am Ende des Tages beginnt Veränderung bei jedem einzelnen.

Manchmal ist es eben doch von Nöten, keinen Tag länger mehr darauf zu warten, dass sich etwas ändert. Oft verschieben wir die Verantwortung auf das Kollektiv oder sprechen uns selbst jegliche Wirkungsmacht ab. Dies ist jedoch ein Irrglaube. Indem wir manchmal eben doch drängen, treiben wir Wachstum voran und haben zusammen den Einfluss, gesellschaftliche Themen mitzugestalten. Am Ende des Tages bilden wir alle nämlich die Gesellschaft. 

Ist Geduld eine Stärke? 

Grundsätzlich ist Geduld definitiv eine Stärke, die wir uns aneigenen können. Geduldig sein macht uns innerlich ruhiger und losgelöst von unseren Emotionen. Sie gibt uns Raum uns auf das Wesentliche zu besinnen, langfristige Lösungswege zu suchen und rationaler entscheiden zu können. Gleichzeitig darf sie aber nicht umkippen in Passivität. Eine Prise Ungeduld darf deshalb durchaus auch Mal an den Tag gelegt werden. Wir können keine Faustregel geben, wann wir Geduld zeigen sollten und wann nicht. Jedoch ist eines sicher: solange wir die Entscheidung darüber in der Hand haben und eben nicht immer blind in die Ungeduld rutschen, haben wir gewonnen.