Corona Krise – leidest du unter Anxiety?

Erste-Hilfe bei Anxiety

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Das Herz pumpt, du fängst an zu schwitzen und kannst nicht mehr klar denken – Corona kann ganz schön “auf den Geist gehen”. Wenn du gerade akut aus dem Grübeln nicht mehr raus kommst, oder wenn Sorgen, Stress und Panik sowieso deine ständigen Begleiter sind, kann dir dieser Artikel helfen – hier bekommst du handfeste Strategien für den Umgang mit Anxiety.

Was ist Anxiety?

Anxiety ist ein häufiges Phänomen, für das im Deutschen eine adäquates Wort fehlt. Anxiety bezeichnet Angst “ohne Rast und Ziel”. Merkmale sind z.B. Sorgen und Grübeln, Katastrophisieren, Rastlosigkeit, körperliche Übererregung, Schlaflosigkeit, Paranoia und Panik. Es handelt sich dabei eigentlich um eine fehlgeleitete Fluchtreaktion im Sinne unseres fight or flight-Instinktes. Gründe für die Angst sind oft nicht einmal bekannt. Wenn sie bekannt sind, sind Intensität und Dauer der Angst meistens unverhältnismäßig. 

Wer sich aus einer Anxietyattacke befreien will, kann den folgenden drei Schritten folgen: 

Bewusstsein stärken, Energie entladen und Ruhe im Hier und Jetzt finden.

In drei Schritten zur Entspannung

1.Bewusstsein stärken

Akzeptiere den Status Quo. Oft verursacht unser Widerstand gegen die Umstände mehr Leid als die Umstände selbst. Darum ist es wichtig, alles Existierende anzunehmen – auch deine momentane Anxiety, oder die Tatsache, dass wir uns in einer globalen Pandemie befinden. Das kann ich niemals tun, sagst du vielleicht. Was ist die Alternative? Diese Umstände existieren ja schon. Und sie befinden sich nicht in deiner Kontrolle. Akzeptieren heißt nicht Gutheißen; Akzeptieren heißt auch nicht, dass du ein Opfer dieser Umstände bist. Im Gegenteil – indem du definierst, was nicht in deiner Kontrolle ist, definierst du auch, was doch in deiner Kontrolle ist: deine Reaktion, also dein Denken, Fühlen und Verhalten. Das ist gar nicht mal so wenig. 

Erkenne, dass du gerade Anxiety hast. Menschen sind vernunftbegabte Tiere; wir sind die einzige Spezies, die sich ihrer selbst bewusst ist. Trotzdem verlieren wir ständig das Bewusstsein – wir werden von Wellen der Gedanken und Gefühle überschwemmt. Um zu lernen, den Kopf über Wasser zu halten, ist es nötig, Anxietywellen zu erkennen; das erfordert Übung. Jedes Mal, wenn du mitten in einer Anxietywelle plötzlich aufwachst, sag STOP. Wenn du ein visueller Typ bist, kannst du dir ein riesiges Stoppzeichen vorstellen. 

Dann kannst du einen Konter-satz sagen, den du dir zurechtgelegt hast und der deine wiedererlangte Kontrolle jedes Mal aufs neue untermauert, z.B. Ich habe gerade eine Anxietyattacke. Ich bin das Bewusstsein, nicht der Bewusstseinsinhalt. Ich habe Anxiety, ich bin nicht Anxiety. Gedanken und Gefühle: ich höre euch. Ich will lernen, bei mir zu bleiben. Ich will lernen, mich um mich zu kümmern, wenn ich Angst habe.

Außerdem kann es helfen, der Anxiety einen Moment lang deine volle Aufmerksamkeit zu schenken. Fühle die Angst in deinem Körper und prüfe, ob ein Gedanke mit der Anxiety verknüpft ist. Diesen Gedanken kannst du dann auf seinen Realitätsgehalt prüfen und entkräften. Wenn die Anxiety einmal von dir voll anerkannt und ihre Botschaft gehört wurde, wird sie schlagartig schwächer.

2. Energie entladen

Baue den überschüssige Energie in deinem Nervensystem ab. 

Bei starker Anxiety kannst du einem EFT (Emotional Freedom Technique)-Video folgen. EFT ist eine Akkupressurmethode, die auf chinesischer Medizin basiert – überzeuge dich selbst von ihrer erstaunlichen Wirksamkeit. Eine deutsche Anleitung gibt es hier. Eine englische Version spezifisch für Corona gibt es hier

Alternativ kann eine kurze, energetische Aktivität helfen. Mache 30 Liegestützen, Kniebeugen oder Hampelmänner – du bist eh zuhause, es kriegt ja keiner mit. Wasch dir die Hände, putze deine Oberflächen, oder mach dir einen Tee. Mache 20 Minuten Yoga oder Ausdruckstanz. Hör dir anregende Musik an und laufe auf der Stelle. Kritzel auf einem Block eine Seite voll. Mach ein bescheuertes Selfie von dir und schicke es an deine Freunde. 

Lege dir am Morgen eine dieser “Notfallaktivitäten” zurecht, falls eine Anxietywelle kommt. Es ist wichtig, diese Energie in harmloses Verhalten zu leiten, da sie sonst weiter deine schädlichen Gedanken anfeuern oder sich in Nägelkauen, übermäßigem Essen oder anderen ungünstigen Verhaltensweisen manifestieren kann.

3. Ruhe im Hier und Jetzt finden

Entlarve die “Gefahr” als Illusion. Frage dich selbst, ob du in diesem Moment eigentlich ein Problem hast. Hast du genug Luft, Wärme, Wasser, Nahrung? Hast du Menschen, mit denen du reden kannst und denen du wichtig bist? Zähle zehn Dinge auf, die gerade gut laufen. 

Praktiziere Achtsamkeit. Vergegenwärtige dir, dass das Leben nichts als ein ewiges Jetzt ist. Wenn wir Zeit und Energie investieren, um mit unseren Gedanken in der Vergangenheit oder der Zukunft zu verweilen, verlieren wir das wertvollste, was wir haben: das Jetzt, der einzige Ort, wo das Leben sich abspielt. Wenn wir uns Schreckensfantasien über die Zukunft ausmalen, reagiert unser Körper genau so, als wäre die Schreckensfantasie Realität – du wirfst Lebenszeit weg und das unnötige Kortisol schadet deinem Immunsystem. Natürlich ist es wichtig, mithilfe des Verstandes Pläne zu schmieden und Vorkehrungen zu treffen. Jedes weitere Verweilen mit den Gedanken in der Zukunft ist jedoch unnötig und kann Anxiety erzeugen. 

Um in den Moment zu kommen, empfiehlt der “Achtsamkeitspapst” Eckhart Tolle drei Techniken:

Die fünf Sinne. Zähle so viele Dinge wie möglich auf, die du sehen, spüren, hören und riechen kannst, um dich wieder im Präsens zu verankern. Nimm den Moment so wahr, als würdest du ihn zum ersten Mal sehen.

Das Körpergefühl. Mache eine Bodyscan-Meditation. Als Neuling empfiehlt sich eine geführte Meditation wie diese lange oder diese kurze Version, später kannst du dich selbst anleiten.

Die Atmung. Nimm dir einen Moment Zeit und atme bewusst mehrmals tief in den Bauch. Für eine etwas längere Session kannst du Atemzüge zählen – bis 10, dann wieder von vorne. 

In schwereren Fällen von Anxiety hilft die Wechselatmung (Nadi Shodhana). Diese Atemtechnik aus dem Yoga kann dir helfen, dein Nervensystem wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Atme tief in deinen Bauch ein, dann halte dir das rechte Nasenloch zu. Atme durch das linke Nasenloch aus und wieder ein. Dann schließe das linke Nasenloch und atme durch das rechte aus und ein. Wiederhole diesen Zyklus für fünf Minuten.

Tipps: Konzentriere dich auf die Ausatmung, denn sie aktiviert den Parasympatikus, den Ruhenerv. Verankere die Ruhe in deinem Körper: Wenn du einen ruhigeren Zustand erreicht hast, nimm dir zwei Minuten Zeit, um diesen Zustand zu genießen und ihn dir zu merken. Dadurch wird es das nächste Mal leichter sein, dorthin zu kommen.

Langfristige Anxiety-Prävention

Meditation / Mindsetting

Wenn du noch keine achtsame Morgenroutine hast, ist jetzt der beste Zeitpunkt um einzusteigen, denn du wirst sofort Effekte spüren. Meditation senkt erwiesenermaßen die Aktivität der Amygdala, macht dich also weniger reaktiv auf Stress. Wenn Meditation nicht dein Ding ist, prime dein Gehirn in der Früh, z.B. mit Tony Robbins Morgenroutine oder Nicole Leperas kostenlosem Future Self Journal.

Selbstfürsorge

Praktiziere Selbstliebe und -fürsorge. Idealerweise werden wir in unserem Elternhaus mit ‘inneren Eltern’ ausgestattet – wir entwickeln etwas in uns, das uns beruhigt und uns vor Gefahren beschützt. Da jedoch niemand perfekte Eltern hat, haben wir alle mehr oder weniger große Probleme, uns selbst zu lieben und unsere Emotionen zu regulieren. Das ist nicht unsere Schuld; es liegt aber in unseren Möglichkeiten, das zu ändern. Um dir selbst ein liebevoller und konsequenter Elternteil zu sein, plane eine Phase in deinen Tag ein, in der du nichts musst: geh spazieren, male etwas; höre oder mache Musik; lies ein Buch; lieg einfach nur da oder mach einen Mittagsschlaf –  wonach dir in dem Moment ist. Außerdem: Gönne dir eine Sache pro Tag; sei lieb zu dir, kümmere dich um dich oder tue jemand anderem etwas Gutes. Bleib mit deinen Lieben in Kontakt. 

Bewegung

Bewege dich jeden Tag für 20 Minuten – nimm dir nicht zu viel vor. Wissenschaftlich ist es erwiesen, dass bewusste Bewegungstechniken wie Yoga und Chi Gong gegen Anxiety helfen. Kurze, kostenlose Yogavideos findest du hier (englisch).

Gesundes Essen

Iss natürliche, unprozessierte Nahrungsmittel. Tracke an einem typischen Tag deine Mahlzeiten mit Chronometer und schaue nach, ob du genügend Vitamine und Mineralstoffe zu dir nimmst. Wenn dein Körper nicht die notwendigen Bausteine für frische Neurotransmitter und Aminosäuren hat, kannst dich anstrengen wie du willst – es wird unmöglich sein, deinen Zustand oder dein Verhalten zu ändern. (Mein quälendes Restless leg syndrome beispielsweise verschwand über Nacht, nachdem ich mir Eisentabletten besorgt hatte.)

Lass die Finger von Koffein, Alkohol und Zucker. Iss, vor allem morgens und abends, eine Mahlzeit mit viel Gemüse, Protein und Fett, z.B. ein Omelette, Quark mit Nüssen, Avocado, Tofu, Kokosnussjoghurt. Getreidekaffee ist eine leckere Alternative für Kaffee. Alles, was deinen Organismus künstlich anfeuert, mag kurzfristig helfen, doch folgt auf das Hoch immer ein Tief, und im Tief entsteht Anxiety.

Gesunder Schlaf

Stelle sicher, dass du genug Schlaf bekommst. In Zeiten großer Anxiety kann das besonders schwer sein. Folgende Tipps können helfen: 

Lasse 3-4 Stunden zwischen Essen und Schlafen – Verdauung und Denken können sehr stark zusammenhängen. Iss am Abend keine Kohlenhydrate, damit du keinen Insulincrash bekommst. Halte dich am Abend von Bildschirmen fern – JA, auch von deinem Handy. Lies, schreib oder male als Teil deiner Abendroutine. Meditiere. Mach leichtes Yoga, Autogenes Training oder eine Bodyscan-meditation vor dem Schlafengehen. Nimm CBD-Öl oder Lavendelkapseln ein.

Gut zu wissen

Der Fluchtinstinkt will alles, außer anhalten, obwohl Ruhe genau das ist, was wir brauchen. Implementiere Ruhe, soweit du kannst. Wenn nicht, sei milde zu dir. Auch ein einziger bewusster Atemzug ist bei starker Anxiety schon ein Erfolg. Erkenne das an und mach dich nicht fertig. Du kannst nichts dafür, dass du dein Verhalten gerade nicht steuern kannst, denn:

Fluchtverhalten zeigt an, dass der präfrontale Kortex offline ist – wir können bei Anxiety nicht nicht logisch Denken. Das Reptiliengehirn, unser “emotionales Gehirn”, kontrolliert unser Verhalten. Das Ziel ist, unseren höchstentwickelten Hirnarealen wieder das Ruder in die Hand zu geben. Das geht aber nur graduell und langsam; Darum: Sei milde, aber sei konsistent.

Mach es dir einfach. Es geht hier nicht um Perfektion – setze dir realistische Ziele. Implementiere zunächst EINE der obigen Strategien und bleib dran – das wird schnell Früchte tragen und du wirst es gar nicht mehr anders wollen. Wenn die gewählte Methode dir nichts bringt, wähle eine andere; lass dich nicht von deinem Verstand überlisten, der dir erzählen wird, dass “es eh nichts bringt”. Wenn Nr. 1 fest in deinen Alltag integriert ist, sei stolz auf dich und implementiere deine Nr. 2. Schreibe dir deine Methode auf einen Notizzettel und habe ihn immer vor Augen. 

Sich von Anxiety zu heilen, ist nicht unbedingt ein Spaziergang. Aber dein Commitment, dir selbst zu helfen, ist ein Teil der Heilung. Du brauchst die Erfahrung, dass du bereit bist, Energie zu investieren, um dich selbst zu retten; und du brauchst Skills, um dich da raus zu holen. Skills kommen nicht von alleine, sondern durch konsistente Wiederholung. Wenn du gerade vermehrt an Anxiety leidest, ist das vielleicht genau deine Chance, um zu lernen, dir selbst ein guter Elternteil zu werden.

Du schaffst das!