360-Grad-Feedback: 360 Grad Beurteilung Vorteile Nachteile

360-Grad-Feedback: Definition, Fragebogen, Tipps

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360-Grad-Feedback
360-Grad-Feedback

Eine sehr wichtige Aufgabe von Führungskräften ist die Identifikation und die Auswahl von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit Entwicklungspotenzial, um dafür zu sorgen, dass die Unternehmensziele langfristig erreicht werden können. 

Allerdings verhält es sich in der Praxis oftmals so, dass eine Führungskraft den Großteil ihrer Zeit in der Kooperation und Kommunikation mit anderen Personengruppen als ihren eigenen Mitarbeitern verbringt. 

Wie also soll eine Führungskraft überhaupt Potenziale bei den ihr unterstellten Mitarbeitern entdecken können? 

Hierbei kommt das 360-Grad-Feedback als ein wichtiges Tool der Personalentwicklung ins Spiel, welches besonders häufig im Führungsumfeld eingesetzt wird. Das 360-Grad-Feedback ermöglicht einen dokumentierten Selbst- und Fremdbildabgleich zu einem Potenzialträger, um dessen Stärken zu fördern und Handlungsfelder gezielt bearbeiten zu können. Dabei sind sowohl das Verhalten bzw. die Leistung als auch die Kompetenzen im Fokus.

Wozu braucht es für die Potenzialanalyse und -entwicklung extra ein Tool?

Die Voraussage von Fach- oder Führungserfolg der eigenen Mitarbeiter ist sehr schwierig. Noch hinzu kommt, dass es ohne vordefinierte Kriterien für Erfolg keine Anhaltspunkte gibt, wo der Mitarbeiter in seiner Entwicklung steht. 

Darüber hinaus unterliegt jeder Mensch gewissen Wahrnehmungs- und Beurteilungsfehlern. Im Sinne des beispielhaften Faktors „Ähnlichkeit“, kann eine Golf-begeisterte Führungskraft unterbewusst dazu neigen, dem Golf-begeisterten Potenzialträger, welcher jedoch schlechtere Kompetenzen als ein anderer Kandidat aufweist, mehr Beachtung zu schenken. 

Sympathie ist ein zentraler Faktor, welcher uns in unseren Entscheidungen stark beeinflusst. Ein 360-Grad-Feedback standardisiert somit den Prozess und minimiert damit die Subjektivität im Auswahlverfahren und im weiteren Verlauf. 

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Was ist 360-Grad-Feedback eigentlich?

Das 360-Grad-Feedback ist also eine standardisierte und objektive Methode mittels Fragebogen, um Potenzialträger im Fach- und Führungsbereich anhand deren Kompetenzen, also ergebnisrelevanten Verhaltensweisen, zu identifizieren und zu entwickeln. Dabei werden die Visionen, Strategien, Missionen und Werte des Unternehmens stetig im Blick behalten.

Der 360-Grad-Winkel umfasst dabei die Perspektiven der Kolleginnen und Kollegen, der Vorgesetzen, anderer Mitarbeiter bzw. den unterstellten Mitarbeitern und möglicherweise sogar den Kunden (Fremdbild). Doch auch die Perspektive des Feedbacknehmers, also des möglichen Potenzialträgers wird berücksichtigt (Selbstbild). So wird ein zentraler Fokus auf das Feedback der Beurteilenden an den zu beurteilenden Mitarbeiter gelegt.

Durch das 360-Grad-Feedback erhält der Vorgesetzte ein umfassendes Mehrperspektiven-Bild zum Verhalten der eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Mit diesem Bild kann die Führungskraft die Leistung der Mitarbeiter mit einem zuvor definierten Soll-Rahmen abgleichen. 


Methodik von 360-Grad-Feedback

Vorbereitung und Konzept 360-Grad-Feedback

  • Zielgruppe: Identifizieren der zu befragenden Zielgruppe, z.B. alle Mitarbeiter im Vertrieb und der Feedback-Geber.
  • Soll-Kompetenzen: Festlegen, welche Kompetenzen & KPIs nötig sind, um die Unternehmensziele erreichen zu können. Konkret erläutern, woran die Kompetenzen im Alltag sichtbar werden (siehe auch Kompetenzmodell).
  • Fragebogen: Auswählen eines wissenschaftlich-validierten Fragebogens durch einen Mitarbeiter mit wirtschafts-/psychologischem Hintergrund.
  • Transparenz: Informieren der Mitarbeiter, welche ein Feedback erhalten sollen.
  • Prozess: Idealerweise wird das 360-Grad-Feedback über eine Software durchgeführt. Sollte keine Software zur Verfügung stehen, können unabhängige und neutrale Berater den Prozess begleiten und die ausgefüllten Fragebögen auswerten.
  • Befragung: Starten der Befragung und betreuen der Feedbackgeber und -nehmer im Prozess.

Auswertung und Kontrolle vom 360-Grad-Feedback

  • Bericht: Erstellen eines Auswertungsberichts durch einen unabhängigen, neutralen und psychologisch geschulten Berater und informieren der Führungskraft des Feedbacknehmers.
  • Feedback: Besprechen der Ergebnisse mit dem Feedbacknehmer und der Führungskraft (Wertschätzung zeigen). Die Führungskraft hat in diesem Prozess die Aufgabe eines Coaches. Identifikation von Stärken und Handlungsfeldern. Überlegungen treffen, wie diese ausgebaut bzw. bearbeitet werden können. 
  • Entwicklungsplan: Gemeinsames Erarbeiten eines Entwicklungsplanes inkl. Zielen anhand der Ergebnisse. Einbeziehen des Feedbacknehmers und anhören dessen Vorschläge und Wünsche.
  • Geschäftsführung: Information der Geschäftsführung über die Ergebnisse.
  • Erfolgskontrolle: Wiederholung des 360-Grad-Feedbacks nach einem festgelegten Zeitraum (z.B. 6-12 Monate). 

Umsetzungshinweise zum 360-Grad-Feedback

Bei Einführung eines 360-Grad-Feedbacks ist es absolut wichtig, Akzeptanz im gesamten Unternehmen herzustellen. Jedem Mitarbeiter muss klar sein, wozu dieses Instrument dient (Sinn) und wie mit den Ergebnissen umgegangen wird. Die Ergebnisse sollen ausschließlich zur Verbesserung der Fähigkeiten und Fertigkeiten dienen.

Die Feedback-Geber und Feedback-Nehmer müssen vor Anwendung des Tools intensiv geschult werden. Die Anonymität der Feedback-Geber muss zwingend sichergestellt werden. Darüber hinaus sollten die Feedback-Geber den Feedback-Nehmer mindestens seit 3 Jahren kennen, um eine fundierte Bewertung zu diesem abgeben zu können.

Die Auswertungsberichte müssen differenziert und umfänglich ausformuliert werden. Der individuelle Plan zur Entwicklung soll gemeinsam mit dem Feedbacknehmer besprochen und schriftlich festgehalten werden. Die Führungskraft wird in das gesamte Szenario und insbesondere in den Entwicklungsplan eingebunden. 

Das 360-Grad-Feedback ermöglicht es, veränderbares und leicht erlernbares Verhalten zu messen. Kaum veränderbar sind hingegen Persönlichkeitsmerkmale. Diese werden mit dem 360-Grad-Feedback nicht erfasst. Es lässt sich somit auf das beobachtbare Verhalten, nicht aber auf die Persönlichkeit der Feedback-Nehmer schließen. 

Nur durch die Nachbegleitung mittels eines Coachings durch die geschulte Führungskraft, einem geschulten Personalentwickler oder eines externen Coaches werden die Ergebnisse nachhaltig sein. 

Es muss nicht immer ein 360-Grad-Feedback sein. Je nach Situation ist auch ein 90-Grad-Feedback oder auch ein 180-Grad-Feedback ausreichend. Die Methode ist zudem nicht für Krisenzeiten ausgelegt. Es ist daher immer situationsabhängig zu entscheiden, ob das Tool eingesetzt werden sollte.

Das Tool empfiehlt sich eher weniger für kleine Unternehmen, da in diesem Fall die Anonymität nicht gewährleistet werden kann. In diesem Fall sollten kleinere Unternehmen eher auf klassische Methoden zurückgreifen. 

Das 360-Grad-Feedback darf das regelmäßige Feedback im Team und mit der Führungskraft nicht ersetzen. Das Tool sollte nicht an Gehalts- oder Karriereentwicklungen geknüpft sein, sondern ausschließlich zur Entwicklung der Mitarbeiter bzw. Führungskräfte dienen, um Stress, Druck und Machtkämpfe bei der Belegschaft zu vermeiden.  

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Vor- und Nachteile 360-Grad-Feedback

Vorteile 360-Grad-Feedback

  • Offenheit, Transparenz, Ehrlichkeit, Objektivität
  • Fördern der Kritikfähigkeit
  • Klare beobachtbare Kriterien als Normen etablieren
  • Sichtbare Erfolgserlebnisse und Förderung
  • Steigerung der Leistung 
  • Mehr klarer Umsetzung hohe Akzeptanz

Nachteile 360-Grad-Feedback

  • Akzeptanzprobleme, vor allem bei negativem Feedback
  • Probleme in der Änderung von Verhalten seitens des Feedbacknehmers
  • Vorteile des Tools werden möglicherweise nicht gesehen
  • Keine Aussagekraft über die generelle Effizienz eines Mitarbeiters
  • Der praktische Nutzen des Tools ist von der Qualität des Fragebogens und den Qualifikationen der Anwender abhängig
  • Hoher Aufwand bei Einführung, Umsetzung und Verwaltung

Fazit zum 360-Grad-Feedback

Einige Unternehmen haben das 360-Grad-Feedback schon eingesetzt. Dabei gibt es unterschiedliche Rückmeldungen seitens der Belegschaft. Im Fall von Zalando zeigte sich, dass die Mitarbeiter sich kontrolliert, überwacht und unter Druck gesetzt fühlen. Darüber hinaus konnten die Führungskräfte im Unternehmen die Ergebnisse der Befragung wohl recht flexibel auslegen und hatten nicht immer die Muße etwas zu verändern. Die Allianz Elementar Versicherungs-AG machte die Entdeckung, dass es großen Handlungsbedarf im Führungsverhalten gibt und setzte die Wünsche und Vorschläge, welche aus den Ergebnissen ersichtlich wurden, zum Teil umgehend um. 

Auch der Pharmakonzern Bayer setzt das 360-Grad-Feedback ein. Bayer ist besonders darauf bedacht für Nachhaltigkeit zu sorgen und steckt daher viel Arbeit in die Verbesserung und Entwicklung der eigenen Mitarbeiter. Dabei betont das Unternehmen, wie wichtig es ist, mit den gesammelten Informationen besonders sensibel umzugehen, denn die Mitarbeiter dürfen nicht das Gefühl bekommen kontrolliert und ständig kritisiert zu werden.

Bewusst eingesetzt, kann das 360-Grad-Feedback also eine großartige Ergänzung zum regelmäßigen Feedback durch die Führungskräfte im Unternehmen sein. Dies setzt jedoch eine professionelle und durchdachte Umsetzung voraus. Abschließend lässt sich somit sagen, dass dieses Tool auf der einen Seite bei einer kurzfristig und wenig durchdachten Umsetzung ein Fluch sein kann. Auf der anderen Seite kann eine ordentlich organisierte Einführung dieses Tools, den Mitarbeitern aber auch Stimme verleihen und aufgrund der Entwicklungsmöglichkeiten zu deren Wohlbefinden beitragen. 

Jedes Unternehmen ist somit selbst verantwortlich, ob das 360-Grad-Feedback erfolgsversprechend sein wird oder nicht.

Welche Erfahrungen habt ihr mit dem 360-Grad-Feedback gemacht? 


Quellen

Hagelüken, A. & Kläsgen, M. (2019). So überwacht Zalando seine Mitarbeiter. Abgerufen am 24.07.2020, von https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/zalando-ueberwachung-zonar-1.4688431

Hildebrandt-Woeckel, S. (2010). Wie findet ihr mich? Abgerufen am 24.07.2020, von https://www.sueddeutsche.de/karriere/360-grad-feedback-wie-findet-ihr-mich-1.506313

Peiperl, M. A. (2001). Getting 360-Degree Feedback Right. Abgerufen am 24.07.2020, von https://hbr.org/2001/01/getting-360-degree-feedback-right

Pelz, W. (2020). 360 Grad Feedback: Definition, Ablauf und Erfolgsfaktoren. Abgerufen am 24.07.2020, von https://www.360-grad-feedback.net/360-Grad-Feedback-Definition-Erfolgsfaktoren.html

Scherm, M. & Kaufel, S. (2018). 360-Grad-Feedback. In I. Jöns & W. Bungard (Hrsg.), Feedbackinstrumente im Unternehmen (S. 125-143). Wiesbaden: Springer.

Tourish, D. & Robson, P. (2006). Sensemaking and the Distortion of Critical Upward Communication in Organizations. Journal of Management Studies, 43(4), 711-730.